Depression. Schmerzen der Seele
02.09.2007 11:09 (zuletzt bearbeitet: 29.01.2010 07:28)
#1 Depression. Schmerzen der Seele
Depression - ein schmerzloses Leiden?
D. Hell, J. Endrass, J.-P. Bader
Inhalt:
Was macht den Unterschied zwischen depressivem Leiden und körperlichem Schmerz aus?
Die neurobiologische Grundlage des Schmerzes
Quälende Erfahrung
Zwei Fallbeispiele
Leiden an der eigenen Person
Verlust des sinnlichen Erlebens
Depressive Menschen leiden an gedrückter Stimmung, an Antriebsverlust und Interessemangel. Sie haben Schwierigkeiten, Entscheidungen zu fällen und klagen häufig über ein vermindertes Konzentrationsvermögen. Auch wenn schmerzhafte Druckgefühle wie Kopfschmerzen nicht selten sind, können depressive Menschen auf schlimmste Weise leiden, ohne einen körperlich lokalisierbaren Schmerz zu spüren.
Was macht den Unterschied zwischen depressivem Leiden und körperlichem Schmerz aus?
Schmerz ist eine bestimmte Empfindungsqualität. Schmerz kann quantitativ als mild, heftig oder unerträglich bewertet werden. Gemäss der International Association for the Study of Pain ist Schmerz „ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potentieller Gewebeschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen Schädigung beschrieben wird“.
Damit wird die Warnfunktion des Schmerzes betont. Ferner besagt diese Definition, dass zwar Schmerzen so erlebt werden, als ob Gewebe zerstört sei, dass Schmerzen aber auch auftreten können, wenn keine Gewebeschädigung vorliegt. Bei dieser Schmerzdefinition ist bereits das Leiden am Schmerz mitenthalten.
Die neurobiologische Grundlage des Schmerzes
Die Neurowissenschaft unterscheidet zwischen einer sensorischen Komponente des Schmerzes, welche Auskunft über Lokalisation und Intensität des Schmerzreizes gibt, und einer emotionalen Komponente, welche die Schmerzreize als unangenehm erleben lässt. Von dieser emotionalen Komponente des Schmerzens soll im folgenden die Rede sein.
Viele Hinweise sprechen dafür, dass depressive Menschen, auch wenn sie keinen Schmerzreiz wahrnehmen, an der emotionalen Komponente des Schmerzes leiden. So ist sowohl bei einem Teil der depressiven Menschen als auch bei Schmerzpatienten die Aktivität eines bestimmten Stirnhirnareals verändert. Dieses Areal wird in der neuroanatomischen Terminologie als 'subgenualer Bereich des Gyrus cinguli anterior' bezeichnet und liegt in der Mittellinie des Stirnhirns nahe über und hinter den Augen.
Dieses Gebiet ist in ein Funktionssystem eingebettet, das für die emotionale Komponente des Schmerzes verantwortlich ist. Die quälend erlebte Verstimmung depressiver Menschen könnte also ihr organisches Substrat in neuronalen Systemen haben, die auch bei körperlich traumatisierten Schmerzpatienten eine Rolle spielen. Dafür sprechen u.a. Befunde, die A.J.Bouckoms bei der Behandlung therapierefraktärer Depressionen und bei unbehandelbaren chronischen Schmerzsyndromen erhoben hat.
Es konnte gezeigt werden, dass nach beidseitigen stereotaktischen Läsionen von ungefähr 1cm Durchmesser, die der Neurochirurg im oben beschriebenen Bereich gesetzt hatte, das subjektive Leiden, d.h. die emotionale Komponente des Schmerzes gelindert wurde. Allerdings liess sich mit dieser umstrittenen Behandlungsmethode die Häufigkeit erneuter depressiver Episoden nicht beeinflussen. Bei der Diskussion solcher neurobiologischen Theorien gilt es den Umstand zu berücksichtigen, dass im depressiven Zustand die Aktivität vieler weiterer Hirnareale verändert ist. Zudem ist das Aktivitätsmuster im depressiven Zustand bei vielen Menschen nicht identisch. Auch gilt es zu berücksichtigen, dass nicht das Gehirn leidet, sondern dass sich das Leiden einer Person in einem bestimmten, individuellen Hirnzustand repräsentiert.
Quälende Erfahrung
Noch schwieriger als die Definition des Schmerzes ist diejenige des Leidens. Leiden ist die quälende Erfahrung von sozialem oder körperlichem Ausgeliefertsein. Auf einen einfachen Nenner gebracht, wird Schmerz empfunden, Leiden aber erfahren. So lässt sich ethymologische Leiden vom althochdeutschen Wort "lidan" für Reisen, Fahren ableiten.
Man kann an Schmerzen, aber auch an realen oder vorgestellten Verlusten leiden. Im Falle der Depression setzt das Leiden häufiger nach Verlustsituationen als in Folge von körperlichen Schmerzen ein. Es kann sogar beobachtet werden, dass depressive Menschen sich willentlich Schmerzen zufügen, um das Leiden am Verlusterleben und dem damit verbundenen Leeregefühl erträglicher zu machen.
Mit dem Schmerz wird vom depressiven Leiden abgelenkt. Daraus muss sich nicht zwingend eine neue Form des Leidens ergeben. Als fundamentale Empfindung kann Schmerz, z.B. im Liebesspiel, auch als angenehm wahrgenommen werden. Führen Schmerzen zu Leiden, darf davon ausgegangen werden, dass der Schmerz negativ bewertet wird. Das Leiden ist in diesem Falle eine prozesshafte Reaktion auf den Schmerz, wie es in einem anderen Falle eine prozesshafte Reaktion auf den Verlust sein kann.
[Zwei Fallbeispiele
Frau A. leidet daran, dass ihr Mann kürzlich verstorben ist und reagiert mit starker Trauer auf den Verlust. Sie erlebt ihre Situation als sehr belastend. Ihr Leiden findet Erleichterung, als sie Anteilnahme erlebt oder über ihren Verlust weinen kann. Frau A. leidet an einer Trauerreaktion, ohne depressiv zu sein.
Frau B. verlor ebenfalls ihren Mann, vermag aber keine echte Traurigkeit zu empfinden, obwohl sie ihrem Mann sehr nahe stand. Nach und nach verliert sie das Interesse an ihrer Umgebung, vernachlässigt ihre Aufgaben und zieht sich immer mehr zurück. Sie verliert die Fähigkeit, Gefühle zu empfinden und wird durch diese Veränderung zusehends verunsichert. Ihr Leiden, durch den Tod ihres Mannes ausgelöst, wird zum Leiden an sich selber. Ihr Gefühls-, Interesse-, und Antriebsverlust erfüllen dabei die Hauptkriterien einer depressiven Episode.
Im Falle der depressiven Frau B kommt zum Leiden am Verlust ein Leiden am eigenen Zustand hinzu. Das Spezifische des depressiven Leidens scheint zu sein, dass nicht nur ein Schmerzempfinden oder eine Verlustsituation vorliegt, sondern der Leidende sich selber als Person negativ beurteilt. Dadurch verwandelt sich das ‚übliche‘ Leiden in ein Leiden über die Vorstellung der eigenen Person.
Leiden an der eigenen Person
Wenn aber der Mensch zu einem Leidenden an sich selbst wird, geht leicht verloren, was das ursprüngliche Leiden ausgelöst hat. Dann richtet sich der Stachel des Leidens nicht mehr gegen das Unerträgliche, das zum Leiden geführt hat, z.B. der Schmerz, sondern gegen die eigene Person.
Das Risiko einer solchen Entwicklung ist umso grösser, je mehr das ursprüngliche Leiden zur Erschöpfung führt und mit einer mentalen Blockade einhergeht. Unter einer mentalen Blockade wird eine Beeinträchtigung der Planung und Ausführung von Handlungen verstanden. Bei depressiven Menschen äussert sich die Blockade vor allem in einer Verlangsamung der Denk- und Erinnerungsvorgänge. Depressive Versuchspersonen reagieren in Tests langsamer auf Reize und haben vermehrt Mühe, Gelerntes aus dem Gedächtnis spontan abzurufen. Gleichzeitig sind ihre Bewegungsabläufe gehemmt. Diese
Initiierungshemmung, die sich wie eine Störung der zentralen Exekutive auswirkt, trägt dazu bei, dass depressive Personen auf sich selber zurückgeworfen sind und an Selbstvertrauen verlieren.
Bewertet sich ein Mensch hauptsächlich aufgrund seiner sozialen Fertigkeiten, so trifft ihn eine Depression an seinem verletzlichsten Punkt. In der heutigen Gesellschaft werden Leistung, Erlebnisfähigkeit und Flexibilität sehr hoch bewertet. Selbst wenn die Depression als Krankheit gesellschaftlich toleriert wird, leidet der derpessive Mensch an den gesellschaftlichen Ansprüchen, die er nicht erfüllen kann.
Verlust des sinnlichen Erlebens
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass depressive Menschen emotional wie Schmerzpatienten leiden, jedoch ohne genau definierbare Schmerzen. Sie erleben eine Veränderung, die sie in unterschiedlichem Ausmass behindert, ohne dass diese Veränderung mit einer sichtbaren Organverletzung einhergeht. Selbst wenn depressive Menschen diffuse Schmerzgefühle haben, so fehlt ihnen in der Regel gerade das, was Schmerzpatienten auszeichnet: Das sinnliche Erleben, d.h. die sensorische Komponente eines körperlich begründbaren Schmerzes.
Quelle-Nachweis
Die Depression ist dunkel, manchmal sogar schwarz
Die Depression schmeckt bitter und fad
Die Depression riecht modderig und steigert
sich manchmal bis zum Verwesungsgeruch
Die Depression sieht aus wie ein Labyrinth
ohne Anfang und Ende,
und schlimmstenfalls wie ein vermeintliches Verließ .
Die Depression hat keinen Ton oder Klang,
und oft fühlst du nicht mal mehr eine Schwingung.
Die Depression ist deine größte Chance,
und schenkt Dir Dich sowie dein wahrhaftiges Leben zurück.
Nutze und fühle sie beherzt mit allen Sinnen,
sonst stirbst du.
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